Manchmal rufen Eltern mich an und meinen, ihr Kind sei faul oder sagen mir: „Die Lehrer/Verwandten/… sagen, dass mein Kind faul ist.“ „Mein Kind wird immer fauler.“ Wenn ich so etwas höre, beginne Fragen zu stellen.
War Ihr Kind schon immer faul?
Hat Ihr Kind in der Schule Probleme? Wann haben die Probleme begonnen?
Schnell wird klar, dass es um Kinder geht, die nicht immer „faul“ waren, sondern irgendwann „faul“ wurden.
Kinder sind niemals von Natur aus faul! Wenn sie „faul“ sind, dann hat das Ursachen. Diese Ursachen müssen erforscht werden.
Der Begriff der Faulheit ist heute fast immer negativ belegt
- Nach Faulheit folgt Krankheit.
- Faulheit lohnt mit Armut.
Allein diese zwei Sprüche sagen aus, womit in Deutschland Faulheit assoziiert wird und welchen Einfluss diese Sprüche auf die Seele der Kinder und Jugendlichen haben. Den Kindern und Jugendlichen wird so signalisiert: Du bist faul – also kann aus dir nichts werden. Du bist faul – deshalb hast du schlechte Noten. Wenn du nicht so faul wärest – hättest du bessere Noten. …
Faulheit war während des 19. Jahrhunderts und davor ein Privileg
Damals galt es als Glück, über Einkünfte zu verfügen, die es erlaubten, gut zu leben, ohne etwas zu tun. „Der Aristokrat, der Edle, war jemand, der nichts tat, der also total frei war. Faulheit ist demnach die Freiheit, ein Privileg zu genießen, Besitz zu haben, ohne dafür etwas tun zu müssen.“ (Zitat siehe unten)
Die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft führte dazu, dass Faulheit negativ bewertet wurde und wird. Faulheit oder Arbeit! Mehr gibt es heute nicht mehr. Heute ist es sogar so, dass selbst unsere Freizeit angefüllt sein muss mit Aktivitäten.
Das hat Auswirkungen auch auf unsere Kinder – ihre Kindheit. „Die Schule vermittelt, dass Nichtstun nicht gut ist, moralisch nicht, psychologisch nicht, und nicht gut für die Bildung. … Für jemanden, der Ferien macht, der ein Recht auf Urlaub hat, den man dann fragt: „Was hast du in den Ferien gemacht?“ und der dann antwortet: „Ich habe nichts gemacht“ ist das eine Katastrophe.“ (Zitat siehe unten)
Gerade aktuell vor den Ferien hören Eltern oft: „Sie müssen mit Ihrem Kind jeden Tag üben, damit es nicht wieder alles vergisst!“ Viele Eltern glauben das und suchen Übungshefte für die Ferien. Ich frage die Eltern dann immer: „Was halten Sie von der Idee, wenn Ihr Chef Ihnen einen Stapel Arbeit mit in den Urlaub geben will?“
Kinder brauchen Ihre Ferien, brauchen ihr Wochenende, brauchen Zeit für sich, müssen auch mal „faul“ sein dürfen.
Doch in unserer Gesellschaft, in unserem Bildungssystem, ist das nicht mehr vorgesehen. Leider!
Wir können das Wort „Faulheit“ auch positiv bewerten
Wir freuen uns, ganz einfach mal nichts zu tun. Inzwischen ist bekannt, dass gerade dieses Nichtstun gut für unsere Seele ist und für unser kreatives Denken. Erst in der Ruhe, beim Ausruhen, Untätig sein, kann unser Gehirn zur Ruhe kommen und hat Platz für Kreativität. Informationen werden in Ruhephasen sortiert und gespeichert.
Wenn Kinder faul zu sein scheinen, hat das Ursachen
Es ist in erster Linie also unsere Bewertung, die Bewertung der Erwachsenen, die glauben, ein Kind sei faul. Kinder sind nicht von Natur aus faul. Das Gegenteil ist der Fall. Doch was passiert mit Kindern, denen nicht sofort all das gelingt, was wir heute von ihnen fordern? Es gibt Kinder mit Entwicklungsverzögerungen, die später all das lernen können, was von ihnen verlangt wird. Aber eben später! Es gibt Kinder, die langsamer sind, die Dinge anders wahrnehmen.
Von allen diesen Kindern wird alles zur gleichen Zeit und zu den gleichen Bedingungen abverlangt.
Ohne Lob und Aufmunterung geben viele Kinder auf
Wenn diese Kinder dann nur noch Kritik hören, nur noch daran gemessen werden, was sie alles nicht können, wenn sie also kaum noch oder gar kein Lob mehr bekommen – sind sie zunächst frustriert und entwickeln Ängste!
Wer frustriert ist und Angst vor dem Misslingen oder dem Misserfolg hat – der wird nicht mehr experimentieren, der wird nicht mehr gut lernen können, denn Angst und Frust blockieren unser Gehirn! Die Probleme werden größer, die Noten schlechter.
Das wiederum führt dazu, dass das Kind noch öfter zu hören bekommt, es müsse mehr lernen, sich noch mehr anstrengen… .
Irgendwann wird es sich sagen: „Alle sagen, dass ich faul bin, also muss ich ja nichts mehr machen.“
Am Ende führt die Anstrengungsvermeidung zu einem Leben ohne Erfolg
Der Frust, die Angst vor Misserfolgen zerstören das Selbstbild des Kindes oder Jugendlichen. Es wird sich nichts mehr zutrauen und aus der Angst heraus sich auch nicht mehr anstrengen – es wird Anstrengungen vermeiden und nach außen hin als faul erscheinen.
Das sieht dann so aus, dass das Kind keine Hausaufgaben mehr machen möchte, es deswegen regelmäßig zum Streit kommt, dass das Kind nicht mehr lernen möchte und im extremen Fall die Schule ganz verweigert.
Faulheit ist die Furcht vor bevorstehender Arbeit. Marcus Tullius Cicero
So gesehen ist die Faulheit die Furcht vor schlecht bewerteter Arbeit, vor Arbeit ohne Lob, vor Arbeit ohne Selbstvertrauen und mit steter Überforderung.
Unsere Kinder sind voll und ganz von unserem Urteil abhängig. Sie können sich noch kein eigenes Urteil über sich selbst bilden. Sagt man Kindern oft genug, dass sie faul oder gar dumm seien, dann werden sie das irgendwann glauben, verinnerlichen und schließlich so leben.
Zitate aus: Faulheit – Todsünde oder Tugend? André Rauch im Gespräch mit Michael Magercord Deutschlandfunk
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